Skip to main content

Bild: © B. Piccoli - stock.adobe.com

Durchbruch in Sichtweite

Die Probleme und Folgewirkungen beim Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel sind seit langem bekannt. Politik und Verwaltung tun sich jedoch schwer, entsprechende Massnahmen zu ergreifen und geltendes Recht konsequent durchzusetzen. Eva Wyss ist Landwirtschaftsexpertin beim WWF Schweiz. Im Gespräch mit Aqua Viva nennt sie Gründe für die anhaltende Blockade-Politik und erklärt, warum wir mit der Trinkwasser- und Pestizidinitiative nun die Chance haben, diese zu durchbrechen. 

 Das Interview führte Tobias Herbst.

 

Bild 1:  Eva Wyss hat an der ETH Agrarwissenschaften studiert und ist seit 2018 Landwirtschaftsexpertin beim WWF Schweiz.

Frau Wyss, wie beurteilen Sie die Gesetzeslage zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz?
Grundsätzlich gibt uns die Gesetzeslage bereits viele Möglichkeiten, den Pestizideinsatz zu begrenzen. Wir haben das Vorsorgeprinzip, das im Umweltschutzgesetz verankert ist. Artikel 18 der „Direktzahlungsverordnung an die Landwirtschaft“ gibt vor, dass beim Schutz der Kulturen vor Schädlingen, Krankheiten und Verunkrautung primär präventive Massnahmen, natürliche Regulationsmechanismen sowie biologische und mechanische Verfahren anzuwenden sind. Und die Gewässerschutzverordnung definiert Grenzwerte für die Konzentration toxischer Stoffe im Gewässer, welche in den letzten Jahren sogar noch verschärft wurden.

Wir haben also vor allem ein Vollzugsproblem?
Das Bundesamt für Umwelt und das Bundesamt für Landwirtschaft haben 2008 die Umweltziele Landwirtschaft definiert. Diese beruhen auf den gesetzlichen Vorgaben der Schweiz und Regelungen aus internationalen Abkommen. Die Landwirtschaft hat diese Ziele bislang in fast allen Bereichen verfehlt. Wir haben also definitiv ein Vollzugsproblem. Dieses lässt sich aber nicht allein durch fehlenden Willen erklären, sondern wurzelt auch in den rechtlichen Vorgaben selbst. Im Pflanzenschutzverzeichnis des Bundesamts für Landwirtschaft wird beispielsweise eine Palette von Auflagen für den Einsatz sämtlicher Pflanzenschutzmittel definiert. Das Zusammenspiel dieser Auflagen ist jedoch so komplex, dass es häufig sowohl die fachgerechte Umsetzung durch die Anwendenden als auch die Kontrolle durch die kantonalen Vollzugstellen verunmöglicht. Ein anderes Beispiel sind die jährlich rund drei Milliarden Franken Direktzahlungen an die Landwirtschaft. Der grösste Teil davon wird als Versorgungssicherheitsbeitrag allein aufgrund der Flächengrösse eines Betriebs bezahlt. Zahlungen, die eine nachhaltige Produktionsweise voraussetzen, machen hingegen nur einen verhältnismässig kleinen Teil der Beiträge aus.

Wie sieht es bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln aus?
Immer wieder müssen Pflanzenschutzmittel aufgrund ihrer Gesundheits- und Umweltrisiken aus dem Verkehr gezogen werden, beispielsweise das 1976 zugelassene Fungizid Chlorothalonil. Das Wissen zum Zeitpunkt der Zulassung reicht häufig einfach nicht aus, um die Schädlichkeit eines Wirkstoffs abschliessend zu beurteilen. Dies widerspricht dem Vorsorgeprinzip. Hier liegt aus meiner Sicht der grösste Fehler. Es ist daher ein grosser Erfolg, dass der WWF 2018 das Verbandsbeschwerderecht für die Zulassung von Pflanzenschutzmittel erkämpfen konnte. Seitdem sind wir an vielen Verfahren beteiligt. Wir prüfen, ob die Wirkstoffe den Vorgaben aus der Pflanzenschutzverordnung entsprechen und ob entsprechende Untersuchungen fachgerecht durchgeführt wurden.

Warum tun wir uns so schwer, den Rahmen einer nachhaltigen Landwirtschaftspolitik zu definieren?
Nehmen wir das Beispiel der Agrarpolitik 22+, die im April dieses Jahres vom Parlament sistiert wurde. Dadurch bleiben Missstände wie die viel zu hohen Stickstoff-Überschüsse durch Futtermittelimporte, die vielen staatlichen Anreize, welche für die Artenvielfalt schädlich sind oder die Übernutzung der Böden weiter bestehen. Dabei war die Erarbeitung des Vorschlags ein langer Prozess in den sämtliche Interessensgruppen miteinbezogen wurden – selbstverständlich auch die Branchenverbände der Landwirtschaft. Dass die Agrarlobby den Vorstoss in letzter Minute stoppen konnte, zeigt deren enorme politische Macht. Nicht nur die Umweltverbände auch viele Landwirtinnen und Landwirte waren darüber sehr enttäuscht. Denn entgegen der allgemeinen Vorstellung vertritt der Bauernverband eben nicht zwangsläufig deren Interessen. Wir arbeiten beispielsweise eng mit der Agrarallianz zusammen, welche die Agrarpolitik 22+ ebenfalls unterstützte. Die darin vertretenen bäuerlichen Organisationen stehen für rund die Hälfte der Schweizer Landwirtschaft.

Was braucht es, um endlich Fortschritte zu erzielen?
Die Vergangenheit hat gezeigt: Je komplexer ein Konstrukt ist, desto schwieriger wird auch der Vollzug. Die einfachste Variante Variante, um Fortschritte zu erzielen, wäre daher die Annahme der Trinkwasser- und Pestizidinitiative. Denn wenn die betreffenden Wirkstoffe nicht mehr eingesetzt werden dürfen, hätten wir auch die entsprechenden Folgeprobleme nicht mehr. Positiv ist auch, dass die Initiativen aus der Zivilgesellschaft kommen. Die Bevölkerung nimmt den Biodiversitätsverlust, die Beeinträchtigung unseres Trinkwassers sowie die Blockade-Kultur innerhalb der parlamentarischen Politik nicht länger hin. Wir wissen genau, wo die Probleme herkommen. Und darum liegen auch die Lösungen auf der Hand.

Frau Wyss, vielen Dank für das Gespräch.

Mehr zur Pestizid- und Nährstoffbelastung unserer Gewässer lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von aqua viva "Fokus Wasserqualität" (2/2021) - der Zeitschrift für Gewässerschutz.