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Bild: © Jörg Schneider

Von den Nachbarn lernen

Anfang der 1990er Jahre gab es die ersten Lachs-Rückkehrer in Deutschland. Lange Zeit entwickelten sich die Bestände positiv, doch seit einigen Jahren ist eine Trendwende zu beobachten. Jörg Schneider ist Biologe und Lachsexperte. Seit rund 30 Jahren begleitet er die Lachsrückkehr in Deutschland. Mit Aqua Viva blickt er zurück und spricht über die Herausforderungen auf dem Weg zu stabilen Lachsbeständen in Deutschland und vielleicht auch bald in der Schweiz.

Das Gespräch führte Tobias Herbst


«Auch bei uns können Wildlachse in Dichten vorkommen wie in Schottland, Norwegen oder Schweden.»

Jörg Schneider, promovierter Biologe, Gutachter und Inhaber 
der Bürogemeinschaft für fisch- und gewässerökologische Studien Frankfurt (BFS)

Herr Schneider, seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema Lachs?

Auf der Suche nach einem Thema für meine Doktorarbeit bin ich 1993 am Forschungsinstitut Senckenberg gelandet. Dort gab es damals eine Anfrage der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) und des Landes Rheinland- Pfalz, die Wiederansiedlung des Lachses wissenschaftlich zu begleiten. Nach der Promotion habe ich mich selbständig gemacht und die Wiederansiedlung des Lachses ist seitdem ein Schwerpunkt meines Büros. Wir machen im Moment unter anderem das Management für die Lachswiederansiedlung in Hessen und in Rheinland-Pfalz.

Seit wann gibt es in Deutschland wieder Lachse?

Die Wiederansiedelung des Lachses hat mit kleinen Besatzversuchen Ende der 1980er Jahre in Nordrhein-Westfalen begonnen. Anfang der 1990er Jahre schwammen dann zum ersten Mal seit den 1950er Jahren wieder Lachse aus dem Rhein ins Meer und zurück.

Was waren die Gründe für die Rückkehr des Lachses nach Deutschland?

Der Lachs ist ein sehr heimattreuer Fisch. Er kehrt aufgrund seiner Prägung in die Gewässer zurück, aus denen er ursprünglich abgewandert ist. Man geht von zwei bis drei Prozent aus, die als sogenannte Streuner in andere Gewässer ziehen. Wenn der Lachs in einem Gewässer ausgestorben ist, ist eine eigenständige Wiederbesiedlung also ein sehr langwieriger Prozess. Deswegen erfolgte die Wiederansiedlung zunächst über Besatzmassnahmen. Die in den Zuflüssen ausgesetzten Junglachse prägen sich ihre neuen Heimatgewässer ein und kehren nach ihrer Wanderung ins Meer wieder dorthin zurück. Voraussetzung hierfür war natürlich die Wiederherstellung der Fischgängigkeit des Rheins und seiner Zuflüsse.

Wie hat sich der Lachsbestand seitdem entwickelt?

Obwohl wir zu Beginn der Wiederansiedlung noch viel lernen mussten, hatten wir gute Erfolge. Die ersten Lachse kehrten bereits zwei Jahre nach den anfänglichen Besatzmassnahmen zurück. Mit dem Ausbau des Monitorings konnten wir diese Erfolge dann auch quantifizieren. In den Jahren 2005 bis 2010, vor allem in 2008 hatten wir in fast allen Lachsgewässern natürliche Reproduktion mit hohen Dichten. Das zeigt, dass die Süsswasserlebensräume bei uns zumindest in Teilen soweit intakt sind, dass Wildlachse in Dichten vorkommen können wie in Schottland, Norwegen oder Schweden. Seit circa zehn Jahren beobachten wir jedoch wieder weniger Rückkehrer. Und dies obwohl wir inzwischen viele Methoden optimiert haben.

Lachs-Monitoring. Bild: © Jörg Schneider

An welchen Methoden haben sie gefeilt?

Zu Beginn der Wiederansiedlung hatten wir beispielsweise noch wenig Kenntnisse über die praktische Umsetzung des Besatzes. Wir haben uns geeignete Stellen ausgesucht und einfach 10 000 Fische ausgesetzt. Junge Lachse sind jedoch sehr territoriale Tiere. Bei zu hohen Dichten kommt es zu Konkurrenzkämpfen. Wir mussten die Tiere also besser verteilen. Auch die Qualität der Besatzfische hat sich stetig erhöht, weil auch die Aufzuchtbetriebe viel dazugelernt haben – in unserem Fall das Lachszentrum Hasper Talsperre. Später haben wir angefangen, in Flussmündungen Schongebiete auszuweisen. Fischaufstiege wurden gebaut, um die Durchgängigkeit zu erhöhen und Renaturierungen wurden durchgeführt. Wir haben an vielen Stellschrauben gedreht, aber der Trend läuft im Moment leider gegen uns.

Konnten Sie die Gründe hierfür schon identifizieren?

Die Überlebensraten innerhalb unserer Besatzgewässer sind meist hervorragend. Das unbekannte Gebiet beginnt, wenn die Fische diese Gewässer verlassen, den Rhein hinunterziehen und wieder zurückkommen. Diese Wanderkorridore bergen eine Vielzahl an Gefahren. Beispielsweise die hohe Mortalität beim Passieren von Wasserkraftanlagen: Smolts können bei der Abwanderung in die Turbinen geraten und gehäckselt werden. Dieses Problem hat aber nicht zugenommen. Im Gegenteil, einige Wasserkraftanlagen verfügen heute über Fischabstiegshilfen. Auch die Lockwirkung der Turbinenabströmung ist bekannt. Sie kann dazu führen, dass Rückkehrer von unten in Turbinen einschwimmen und dort durch Turbinenschaufeln verletzt werden. Auch hierfür gibt es bereits technische Lösungen wie Schutzrechen und elektrische Felder. Ebenfalls bekannt ist die mangelnde Fischgängigkeit im Rhein- Delta. Das Haringvliet in den Niederlanden ist eine abgetrennte Meeresbucht, die mit dem Hauptmündungsarm des Rheins verbunden ist. Riesige Strömungstore schützen dort vor Hochwasser. Sie verhindern aber auch, dass sich typische Strukturen eines Flussdeltas entwickeln und Fische vom Meer in den Rhein wandern. Abwandernde Smolts irren im Innenbereich umher und werden zur leichten Beute von Kormoranen und Raubfischen. Die Niederlande sind aktuell dabei, diese Öffnungen zu erweitern und auch zeitlich zu verlängern. Das sind Probleme, die wir seit langem kennen und an denen gearbeitet wird.

Sobald Junglachse gross genug sind (15 bis 25 ch), ziehen sie in Richtung mehr. Bild: © Michel Roggo - roggo.ch

Um die Trendwende bei den Rückkehrer-Zahlen zu erklären, muss es aber auch Faktoren geben, die sich in den letzten Jahren verschärft haben?

Ein Faktor ist sicher eine stark zunehmende Prädation, also der wachsende Frassdruck. Einerseits hat sich der Kormoranbestand am Rhein seit den 1990er Jahren deutlich erhöht. Andererseits beobachten wir eine Verschiebung des Fisch bestands im Rhein. Arten wie der Rapfen oder der Wels haben stark zugenommen und auch sie fressen Smolts. Pro blematisch sind vor allem Welse, die aufgrund ihrer enormen Grösse sogar ausgewachsene Rückkehrer attackieren. In der Gironde fielen 2016 in nur einem Fischpass ein Drittel der aufsteigenden Lachse Welsattacken zum Opfer. Leider kommt es auch durch die Fischerei immer wieder zu Verlusten. Lachse haben charakteristische Standplätze: Unterhalb von Flussmündungen, vor Fischpässen oder in tiefen Kolken und Löchern. Wer diese Standorte kennt, kann in kurzer Zeit grossen Schaden anrichten. Lachs- Hotspots sind daher häufig auch Hotspots ihrer Fressfeinde. Zugenommen haben auch die Phasen mit Niedrigwasser im Rhein. Dann konzentriert sich der Abfluss in der Schifffahrtsrinne und auch die Fische tummeln sich dort. Wenn aber Fische und die immer grösser werdenden Containerschiffe in derselben Rinne unterwegs sind, kommt es zwangsläufig zur Kollision mit Schiffsschrauben. Dies konnten wir in den besonders trockenen Jahren 2013, 2014 und 2018 beobachten. Hier gab es nicht nur beim Lachs, sondern auch bei anderen grosswüchsigen Arten wie Mee Aktuell stehen zudem viele Wildlachsbestände in Europa und Nord-Amerika unter Druck. Fast überall beobachten wir abnehmende Rückkehrer-Zahlen. Dies spricht für einen alle gemeinsam betreffenden Faktor, der irgendwo im Meer liegt und mit der Nahrungsverfügbarkeit und/oder dem Klimawandel zu tun hat.

Wie schätzen Sie angesichts des Klimawandels die Chancen des Lachses ein, sich dauerhaft zu etablieren?

Es gibt indirekte Faktoren, die sicher relevant sind – beispielsweise die genannten Unfälle bei Niedrigwasser oder die Zunahme des Welsbestands aufgrund höherer Wassertemperaturen. Davon abgesehen hat der Lachs aber vergleichsweise gute Chancen, denn er kommt vorübergehend auch mit Wassertemperaturen im Bereich von 25 bis 28 Grad zurecht. Sicherlich ist er dann gestresst, aber es rafft ihn noch nicht dahin wie beispielsweise Äschen oder Forellen.

Was kann man angesichts dieser Herausforderungen für die Etablierung des Lachses tun?

Es gibt viele Gründe, warum der Lachs bei uns verschwunden ist. Dementsprechend reicht es nicht aus, ihn einfach wieder auszusetzen. Die Vermehrung des Lachses funktioniert nur in Gewässern, die in einem ökologisch guten Zustand sind. Das A und O ist die Durchgängigkeit, aber sie ist nicht alles. Eine Serie von Fischpässen bildet einen Wanderkorridor, aber noch lange kein Laichhabitat. Lachse benötigen eine entsprechende Lebensraumqualität und hierzu zählt auch das Auflösen von Staubereichen, die Redynamisierung von Gewässern, das Schaffen und Zu lassen von Strukturreichtum. Hier müssen Gesellschaft und Politik mehr investieren. Nicht unbedingt in Studien oder Besatzmassnahmen, sondern in ökologische Verbesserungen an den Gewässern: Renaturierung, ökologisches Management, aber auch Öffentlichkeitsarbeit sind entscheidend. Gerade wir Fischbiolog:innen müssen noch viel offensiver die Interessen und Bedürfnisse der Fische kommunizieren.

Können Sie zum Abschluss den Schweizer Kolleg:innen noch etwas mit auf den Weg geben aus 30 Jahren Erfahrung mit der Lachsrückkehr in Deutschland?

Ihr könnt sicher von den Vorarbeiten und Erfahrungen bei uns und andernorts profitieren. Aber Ihr werdet Zeit brauchen. Es kann gelingen, erfordert aber viel Geduld, Zeit und Engagement. Habt einen langen Atem!

Herr Schneider, herzlichen Dank für das Gespräch.

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