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Bild: © Michel Roggo - roggo.ch

Unsere Fische – wer ist morgen (noch) da?

Der globale Wandel und die damit verbundenen Veränderungen haben Auswirkungen auf unsere Gewässer und damit auch auf die heimischen Fischartengemeinschaften und deren natürliche Verbreitungsgebiete. Nicht alle Arten sind gleichermassen betroffen und es gibt Verlierer und Gewinner. Die Folgen des globalen Wandels müssen kommuniziert und in die Gewässermanagementprogramme aufgenommen werden. Ein wichtiges Werkzeug zur Visualisierung grossräumiger Klimawandeleffekte sind Artverbreitungsmodelle.

von Johannes Radinger, erschienen in längerer Form in aqua viva 1/2020

Abbildung 1: Auch Tieflandarten wie die Brasse (Brachse) aus der Familie der Karpfenartigen können durch den globalen Wandel beeinträchtigt sein.

Klimabedingte Temperatur- und Abflussveränderungen, aber auch Landnutzungsänderungen und kleinräumigere Eingriffe in Gewässerökosysteme – Stichworte Gewässerverbau und Durchgängigkeit – haben einen Einfluss auf die Gewässer und ihre Bewohner. Die unterschiedlichen Faktoren wirken oft gemeinsam und können sich zukünftig verschärfen. Eine Abschätzung der ökologischen Auswirkung der Beeinträchtigungen ist für das Gewässermanagement und die künftige Artenvielfalt von entscheidender Bedeutung. Für eine Analyse beziehungsweise Prognose ist es wichtig, die Fragestellung und den Untersuchungsgegenstand sowie den Zeit- und Raumhorizont genau zu definieren und mögliche Einflussfaktoren und eventuelle Massnahmen zu identifizieren. Es ist also beispielsweise wichtig zu wissen, ob eine einzelne Art oder ganze Artengemeinschaften untersucht werden oder ob bei der Fragestellung das Vorkommen, die Verbreitung oder der Bestand im Zentrum steht.

Bedrohung der Arten

Entscheidend für das Vorkommen einer Art und somit für die Artenvielfalt an einem Standort sind die grundsätzliche Eignung eines Lebensraums sowie dessen Erreichbarkeit, aber auch biotische Interaktionen zwischen beziehungsweise innerhalb von Arten (Lake et al., 2007). Zu den grössten Bedrohungen zählen unter anderem der Verlust und die Degradierung von Lebensräumen, Wasserverschmutzung, veränderte Abflussverhältnisse, Unterbrechung der Durchgängigkeit, Invasion durch gebietsfremde Arten sowie Veränderungen von Klima- und Landnutzung (Dudgeon et al., 2006; Reid et al., 2019). Manchmal ist es ein einzelner negativer Faktor, der gravierende Auswirkungen hat. Zum Beispiel ein undurchgängiges Wehr, welches Laichgründe für eine Art unerreichbar macht und somit bestimmend über das Vorkommen dieser Art ist. Oft ist es aber ein Zusammenspiel vieler Faktoren, die sich in ihrer Gesamtheit auswirken können.

Abbildung 2: Schon ein einzelnes undurchgängiges Wehr kann über das Vorkommen einer Art bestimmen. Das Bild zeigt einen atlantischen Lachs an einem Wehr.

Gewinner und Verlierer

Der globale Klimawandel betrifft nicht alle Arten gleichermassen. Wir gehen davon aus, dass es sowohl Gewinner als auch Verlierer geben wird. Durch den prognostizierten Temperaturanstieg der Gewässer sind Fische als wechselwarme Tiere unmittelbar betroffen. Besonders kalt-stenotherme Fischarten, also Arten die mit Veränderungen der Umgebungstemperatur schlecht umgehen können, reagieren sensibel auf klimabedingte Erwärmungen. Das betrifft unter anderem die meisten Salmonidenarten wie zum Beispiel Bachforelle und Äsche. Als Reaktion auf den globalen Temperaturanstieg gehen wir davon aus, dass sich die natürlichen Verbreitungsgebiete dieser Fischarten voraussichtlich flussaufwärts verschieben oder schrumpfen. Die Arten können sogar gänzlich verschwinden, dort wo eine Verschiebung aufgrund von anderen Beeinträchtigungen oder Wanderhindernissen nicht möglich ist. Darüber hinaus sind Fischgemeinschaften auch von den klimawandelbedingten Veränderungen der Niederschlags- und somit Abflussverhältnisse betroffen.

Unsere Studienergebnisse an der Elbe haben gezeigt, dass auch Tieflandarten wie zum Beispiel Brasse (Abb. 1) oder Rapfen vom Klimawandel und einer Veränderung der Saisonalität der Niederschläge beeinträchtigt sind, während andere Arten wie etwa die Bachschmerle ihr Verbreitungsgebiet in der Elbe erweitern könnten (Radinger et al., 2017). Hier spielt vor allem die Körpergrösse eine Rolle: Trotz der unterschiedlichen Reaktionen auf die prognostizierten globalen Umweltveränderungen fanden wir, dass sich die Verbreitungsgebiete kleinerer Fischarten in der Elbe eher ausdehnen werden, während die von grösseren Fischarten eher schrumpfen. Unsere Modelle zeigten auch, dass sich geeignete Lebensräume vieler heimischer Fischarten im Zuge dieser globalen Veränderungen schneller verschieben als viele Arten sich ausbreiten können (Radinger et al., 2017). Zusätzlich ist die Ausbreitungsfähigkeit von Fischen oftmals durch Wanderhindernisse wie Stauwehre eingeschränkt, was die Besiedelung zukünftig geeigneter Lebensräume weiter erschwert (Radinger et al., 2018).

Wir gehen auch davon aus, dass vermehrt wärmeadaptierte gebietsfremde Arten, sogenannte Neobiota, im Zuge des Klimawandels in die Gewässer einwandern könnten. So zeigten unsere Modellergebnisse am spanischen Ebro für die dort gebietsfremden Arten wie etwa Wels und Moskitofisch besonders grosse, stromaufwärts gerichtete und klimabedingte Arealausdehnungen (Radinger & García- Berthou, 2020).

Abbildung 3: Der Wels profitiert von der Klimaerwärmung und breitet sich stromaufwärts aus.

Artverbreitungsmodelle

Zur Vorhersage der Auswirkungen von grossskaligen Veränderungen wie denen des Klimawandels sind sogenannte Nischenmodelle beziehungsweise Artverbreitungsmodelle («Species Distribution Models») in der Ökologie und Biogeographie wichtige Instrumente. Grundsätzlich basieren diese Computermodelle auf der Verschneidung bekannter Artvorkommen mit Klima- und Umweltparametern, aus welchen die Ansprüche einer Art etwa hinsichtlich der Temperatur abgeleitet werden. Mit Hilfe dieser Modelle, die anhand von tatsächlichen Verbreitungsdaten validiert werden, können Vorhersagen über potenziell geeignete und weniger geeignete Habitate an nicht untersuchten Orten oder für zukünftige Klimaszenarien getroffen werden. So kann zum Beispiel abgeschätzt werden, wie Arten auf die Veränderungen von Temperatur und Niederschlag reagieren. Solche Projektionen in die Zukunft sind natürlich auch mit Unsicherheiten verbunden und erlauben daher nur eine probabilistische und vor allem grossskalige Abbildung von Klimawandeleffekten.


Fazit

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass in unseren Breiten die meisten der bisher vorkommenden Fischarten auch in Zukunft erhalten bleiben. Die Arten finden sich womöglich aber zukünftig nicht mehr an denselben Standorten, an denen sie noch vor ein paar Jahren angetroffen wurden, oder sie kommen nicht mehr in der bisherigen Häufigkeit vor. Es ist daher vor allem wichtig die aktuellsten Erkenntnisse aus der Klimafolgenforschung einer breiten Öffentlichkeit zu kommunizieren, geeignete Massnahmen zu identifizieren und deren Umsetzung zu forcieren. In diesem Zusammenhang stellen Artverbreitungsmodelle ein wichtiges Werkzeug dar und dienen der Kommunikation und Vermittlung der Folgen des globalen Wandels zwischen Wissenschaft, Gewässermanagement, Interessenvertretern und politischen Entscheidungsträgern. Für den zielführenden Umgang mit zukünftigen Arealverschiebungen ist ein adaptives und integratives Naturschutzmanagement unverzichtbar. Dies beinhaltet auch eine verbesserte Vernetzung von Lebensräumen in geeigneter Qualität und Quantität. 

Über den Autor

Dr. rer. agr. Johannes Radinger arbeitet am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Der Flussökologe forscht in der Abteilung Biologie und Ökologie der Fische, wo er sich intensiv mit der Wechselbeziehung zwischen Fischen und ihrem Lebensraum auseinandersetzt.

Literaturverzeichnis

Dudgeon, D., Arthington, A.H., Gessner, M.O., Kawabata, Z.-I., Knowler, D.J., Lévêque, C., Naiman, R.J., Prieur-Richard, A.-H., Soto, D., Stiassny, M.L.J., Sullivan, C.A. (2006). Freshwater biodiversity: importance, threats, status and conser- vation challenges. Biological Reviews 81, 163–182. https://doi.org/10.1017/S1464793105006950

Jaric ́, I., Lennox, R.J., Kalinkat, G., Cvijanovic ́, G., Radinger, J. (2019). Susceptibility of European freshwater fish to climate change: Species profiling based on life-history and environmental characteristics. Global Change Biology 25, 448–458. https://doi.org/10.1111/gcb.14518

Lake, P.S., Bond, N., Reich, P. (2007). Linking ecological theory with stream restoration.
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Reid, A.J., Carlson, A.K., Creed, I.F., Eliason, E.J., Gell, P.A., Johnson, P.T.J., Kidd, K.A., MacCormack, T.J., Olden, J.D., Ormerod, S.J., Smol, J.P., Taylor, W.W., Tockner, K., Vermaire, J.C., Dudgeon, D., Cooke, S.J. (2019). Emerging threats and persistent conservation challenges for freshwater biodiversity. Biological Reviews 94, 849–873. https://doi.org/10.1111/brv.12480

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Tonkin, J.D., Poff, N.L., Bond, N.R., Horne, A.,
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Radinger J, García-Berthou E (2020) The role of connectivity in the interplay between climate change and the spread of alien fish in a large Mediterranean river. Global Change Biology 26(11): 6383–6398, doi: 10.1111/gcb.15320

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