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Bild: © Thomas Zulauf - bildausschnitt.ch

Alpine Gewässerlebensräume unter Druck

In den Alpen liegen die letzten unberührten Gewässer der Schweiz. Wilde Bergbäche, dynamische Schwemmebenen, intakte Hochmoore und Quellen im alpinen Raum sind wahre Hotspots der Biodiversität. Doch auch diese Flächen geraten immer stärker unter Druck. Viele drohen zu verschwinden, bevor sie richtig erforscht sind. Mit dem Schmelzen der Gletscher entstehen nun neue, dynamische Gewässerlebensräume mit enormem Potential als Rückzugsraum für zahlreiche Arten. Es ist unsere Chance der Natur wieder etwas zurückzugeben.

Einzigartige und unberührte Landschaften

In der Schweiz gelten nur noch 19 Prozent der Landfläche als naturbelassen. Ein Grossteil davon befindet sich im Hochgebirge und in vergletscherten Gebieten. Hier finden sich einzigartige und unbeeinträchtigte Bäche, Auengebiete, Hochmoore und Quellen mit enormer Artenvielfalt. Im Furkagebiet auf rund 2500 Meter Höhe haben Wissenschaftler:innen in nur vier Tagen über 2000 Arten entdeckt. Bei genauerer Untersuchung wären es sicher noch mehr gewesen.

Übernutzte Gewässer

Der Lebensraum zahlreicher, gerade auch gewässergebundener Arten droht jedoch zu verschwinden. Bei vielen Alpenflüssen ist noch nicht viel Wasser talwärts geflossen, bevor sie aufgestaut, begradigt oder gefasst werden. Die Naturschutzverantwortlichen der Bergkantone berichten von einem zunehmenden Nutzungsdruck auf die alpinen Quellen. Und viele der grossen Gletschervorfelder und alpinen Schwemmebenen wurden bereits unwiederbringlich zerstört. Dennoch dringen Wasserkraft und touristische Infrastruktur immer weiter auch in unberührte Landschaften vor.

Neue Refugien für seltene Arten

Durch den Rückzug der Gletscher entstehen aktuell wilde und dynamische Refugien. Besonders weite, flache Talabschnitte, in denen das Gletscherschmelzwasser sogenannte Schwemmebenen schafft, besitzen ein enormes Lebensraumpotential. Genau dort will die Wasserkraftlobby jedoch neue Stauseen und Wasserkraftwerke bauen. Verplanen wir diese Naturjuwelen, ohne deren Wert für die Artenvielfalt zu berücksichtigen, verlieren wir die letzten Rückzugsräume der Natur.

In Zahlen



«IM ZUGE DER ENERGIEWENDE DARF DIE ARTEN- UND LEBENSRAUMVIELFALT NICHT VERGESSEN GEHEN. DAFÜR MACHT SICH AQUA VIVA ALS GEWÄSSERSCHUTZORGANISATION STARK: WIR KÄMPFEN FÜR DEN ERHALT DER LETZTEN UNBERÜHRTEN GEWÄSSERLANDSCHAFTEN DER SCHWEIZ.»

Salome Steiner, Geschäftsleiterin Aqua Viva

Gewässerlebensräume der Alpen

  • Gletscher
    Bild: jlazouphoto - stock.adobe.com
  • Bergbäche
    Bild: schame87 - stock.adobe.com
  • Schwemmebenen
    Bild: schame87 - stock.adobe.com
  • Bergseen
    Bild: Michal - stock.adobe.com
  • Hochmoore
    Bild: Rolf - stock.adobe.com
  • Quellen
    Bild: Daniel Küry

Hintergründe

Was hat die globale Biodiversitätskrise mit der Trift zu tun?

Alpine Gewässerlebensräume verfügen über ein enormes Potential zum Erhalt der Schweizer Artenvielfalt. Doch unser Energiehunger macht auch vor ihnen nicht Halt. Wir haben jetzt die Chance, der Natur etwas zurückzugeben – stattdessen sind wir dabei, Wesentliches zu verspielen.

Gletschervorfelder: Neuland mit vielseitigem Potential

Durch den Gletscherrückzug entstehen junge, ungestörte Lebensräume mit grossem Entwicklungspotenzial, wie sie in der Schweiz selten sind. Ihre Vielfalt, Dynamik und Seltenheit machen sie besonders wertvoll. Doch einige der heute intakten Gletschervorfelder sind durch den geplanten Ausbau der Wasserkraft akut bedroht.

Wasserkraftnutzung und Energiewende

«Schon bald könnte der Strom knapp werden …». Dieser Satz ist ein altbekannter Schlachtruf der Stromwirtschaft, wenn es um den Bau von neuen Wasserkraftwerke geht. Wer aber mit Stromknappheit droht, hätte Jahrzehnte lang Zeit gehabt, andere Konzepte und Alternativen zu studieren - allen voran die Solarstromerzeugung mit Photovoltaik.

Unsere Alpen: Hoffnung für die Biodiversität

Wir müssen uns grossen und zukunftsweisenden Aufgaben stellen: Der Schutz und die Aufwertung der Lebensräume, um den enormen Biodiversitätsverlust zu stoppen. Die Reduktion des CO2-Ausstosses, um den Klimawandel zu verlangsamen. Beide Herausforderungen sind miteinander verknüpft. Im Zuge der Energiewende darf also die Arten- und Lebensraumvielfalt nicht vergessen gehen. Dafür macht sich Aqua Viva als Gewässerschutzorganisation stark.

Neuer Lebensraum entsteht

Infolge der Gletscherschmelze verändern sich Landschaften und es entstehen neue Lebensräume. Wir werden Zeugen einer unglaublichen, faszinierenden und – leider – sehr schnellen Entwicklung dieser Gebiete. Lassen wir die Dynamik zu, statt diese einmaligen und beeindruckenden Landschaften gleich wieder zu verkaufen. Faszinierende Landschaften wie die Trift sind nicht erneuerbar. Die abschmelzenden Gletscher legen Flächen frei, die Raum für eine vom Menschen nicht beeinflusste Entwicklung der Natur bieten. In Senken entstehen Seen, längerfristig Flachmoore. Am Einlauf durchflossener Seen bilden sich Deltas und in den flachen Überflutungsbereichen entstehen Flächen mit Auencharakter. Wie alle Auen bieten solche Schwemmebenen ein enormes Potential für dynamische Lebensräume und für grosse Artenvielfalt. Mit den neu entstehenden Schwemmebenen haben wir die einzigartige Möglichkeit, der Natur wieder etwas zurückzugeben.

Hoffnung für die Vielfalt der Arten

Das Artensterben ist eines der drängendsten Probleme unserer Zeit. Die durch die Gletscherschmelze neu entstehenden Flächen haben ein grosses Potential für unsere Tiere und Pflanzen. Geben wir der Biodiversität eine Chance. Eine aktuelle Studie (Geo7 2020) hat die Dynamik aller grösseren, bis ins Jahr 2100 eisfrei werdenden Gletschergebiete hinsichtlich ihres ökologischen Wertzuwachses untersucht. Unter den sechs Gebieten mit dem höchsten Entwicklungspotential befindet sich das Vorfeld des Triftgletschers. Die Trift hat demzufolge einen «stark erhöhten Schutzbedarf». Dass ausgerechnet hier ein Kraftwerk entstehen soll, zeigt wie gefährlich und unüberlegt dieses Projekt hinsichtlich der Biodiversität ist. Wenn wir Naturjuwelen wie die Trift verplanen, ohne deren enormes Potential für die Artenvielfalt zu berücksichtigen, verlieren wir letzte Rückzugsräume für hitzeempfindliche Arten.

Schutz für unberührte Gewässerlandschaften

Um zu verstehen, wie sich die Natur vom Menschen unbeeinflusst entwickelt, braucht es Wildnis. Doch diese ist in der Schweiz eine grosse Seltenheit. Ermöglichen wir den neu entstehenden, dynamischen Gewässerlandschaften ihre Entwicklung und schützen sie. Selbst in den Alpen sind viele Flüsse und Bäche verbaut oder in Stollen geleitet. Landschaften sind von Strassen, Hochspannungsleitungen und anderen Bauten zerschnitten und beeinträchtigt. Nun haben wir die Möglichkeit, der Natur etwas zurückzugeben und fasziniert zuzuschauen, wie wilde, dynamische Refugien entstehen. Hierzu reichen die gängigen Instrumente des Landschafts-, Natur- und Gewässerschutzes nicht aus. Denn aktuell wird von Behörden und Politik bei Interessensabwägungen fast ausnahmslos gegen die Gewässer entschieden, im alpinen Raum noch begünstigt durch die Wasserzinseinnahmen der Gemeinden und Kantone. Oft sind es erst die Gerichte, welche die Einhaltung der minimalen, gesetzlich festgelegten Schutzansprüche verlangen – und dies auch nur dann, wenn eine Umweltschutzorganisation wie Aqua Viva diese Ansprüche einfordert.

95 Prozent des Wasserkraftpotentials sind genutzt

Um den weiteren Verlust von Gewässerlebensräumen zu verhindern, braucht es einen gesamtheitlichen Blick, der die bereits erfolgten Zerstörungen und Beeinträchtigungen berücksichtigt. Die Schweizer Gewässer haben ihren Beitrag zur Energiewende geleistet. Die Schweiz nutzt 95 Prozent des verfügbaren Wasserkraftpotentials. Der Anteil der Wasserkraft an der gesamten Stromproduktion liegt bei rund 60 Prozent. Das 1990 vom Bundesrat mit dem Programm «Energie2000» gesetzte Ziel, die Wasserkraftnutzung um nur noch weitere fünf Prozent zu steigern, ist bereits um das Zweieinhalbfache übertroffen. Bewilligte und von den Umweltverbänden nicht bekämpfte Grossprojekte wie die Erhöhung des Stausees Göscheneralp oder die Vergrösserung des Wasserkraftwerks Brusio werden aus wirtschaftlichen Gründen nicht umgesetzt. Schnell vergessen wir, was wir dem Wasser insgesamt bereits abverlangt haben: Kein anderer Lebensraum leidet so unter uns Menschen wie unsere Gewässerlandschaften.

Wasserkraft hat ihre Schattenseiten, es gibt Alternativen

Die Wasserkraft ist zwar erneuerbar, ihre Nutzung belastet jedoch die Gewässer und die Landschaft stark. Statt eine gute, aber ausgereizte und biodiversitätsgefährdende Technologie zu subventionieren, müssen wir endlich in den Ausbau ökologisch verträglicher Energieformen und ins Energiesparen investieren. Der unschätzbare Wert unserer Landschaften und der Biodiversität darf und muss nicht der unbestrittenen Energiewende zum Opfer fallen. Heute zeigen alle Bestrebungen Richtung Nutzen und die Wasserkraft steht dabei nach wie vor im Fokus. Doch warum sollen wir auf Kosten unserer Gewässer und Gewässerlandschaften aus dieser Zitrone auch noch den letzten Tropfen pressen? Das ist weder naturverträglich noch innovativ oder wirklich nachhaltig. Im Unterschied zu den 1950er und 1960er Jahren, wo die Wasserkraft als weisse Kohle ihre Blüte hatte, wissen wir es heute besser. Setzen wir auf Alternativen wie die Solarenergie, Effizienz und den genügsamen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen. Ohne diese Umorientierung werden wir den gleichzeitigen Ausstieg aus den fossilen Energien und der Atomkraft nicht schaffen. Das zeigen alle Prognosen. Das vorhandene Potential ist enorm: Erst 4,5 Prozent des Stromverbrauchs stammen hierzulande aus Solarstrom.

ZUM WEITERLESEN

Alpine Gewässerlebensräume unter Druck

Zeitschrift aqua viva 4/2021

Alpine Auen

geo7 hat das Lebensraumpotential aller grösseren, eisfrei werdenden Gletschergebiete der Schweiz untersucht. 

→ geo7 (2021): Alpine Auen. Entwicklung 2000-2100.

Hotspot Alpen

SCNAT zeigt, warum Berggebiete so artenreich sind und wie wir von dieser Vielfalt profitieren.

→ SCNAT (2013): Biodiversität in den Alpen.


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Salome Steiner

Salome Steiner

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